Jesus vergleicht die Menschen gern mit Bäumen, die gute oder schlechte Früchte tragen, mehr oder minder fruchtbar sind (vergleiche: Lk 6,43 ff). Eine bevorzugte Stellung nehmen dabei der Feigenbaum und seine Früchte ein. Viele der Menschen, die mit Jesus zogen, waren Alleinstehende oder familiär entwurzelt, man nennt sie auch "Wanderradikale". So ist ihr ausgeprägtes Verhältnis zu den Produkten der Natur erklärbar, die kostenlos zu haben sind und somit die Selbstorganisation des Lebens vereinfachen. Die Feigen und der Feigenbaum zählen dazu. Wir vermögen die Freude nachvollziehen, die nach mühsamen Wanderungen unter Hitze und Entbehrungen entsteht, wenn man in der Ferne einen Feigenbaum sieht, aber auch den Ärger, der einen übermannt, wenn man feststellen muss, dass der Baum keine Früchte trägt. In der Tat haben der "Feigenbaum" und die "Feige" eine widersprüchliche symbolische Bedeutung. Wir lesen, dass Jesus einmal einen Feigenbaum regelrecht verflucht hat, weil er keine Feigen an ihm fand (vergleiche: Mt 21,18-19 u. Mk 11,12-14). Voller Erwartung findet man nichts als nur Äste und Blätter. In der griechischen Sprache wird das Adjektiv "feige" direkt von dem gleichnamigen Wort für diese Frucht abgeleitet, was wir im Deutschen auch so kennen. Warum ist das so? Mag sein, dass es mit solchen oder ähnlichen Geschichten des Neuen Testaments zusammenhängt. Aber die Wurzeln liegen tiefer. Schon in der Erzählung vom Sündenfall im ersten Buch Mose lesen wir, dass sich Adam und Eva ihrer Nacktheit schämen und sich mit großen Blättern, gedacht ist höchstwahrscheinlich an Feigenblätter, bedeckt haben. Feige sind die Menschen, die nicht zeigen, wer sie sind und was sie haben. Johannes der Täufer nannte die Soldaten feige, die hinterlistige, übermächtige Gewalt gegen andere anwenden.
Bild: Feige